Es war im Jahre 1107. Damals machte sich Abt Thietmar I. aus der Benediktinerabtei Helmarshausen am Unterlauf der Diemel mit zwei Gefährten auf den Weg nach Trier, um die Gebeine eines Heiligen abzuholen. Von der Übertragung versprach sich der Klosterobere einen größeren Zulauf an Pilgern, die das Leben im angeschlagenen Kloster von neuem beflügeln und den wirtschaftlichen Niedergang seines Hauses durch Spenden und den Kauf von Devotionalien aufhalten würden. Die Rechnung des Abtes ging auf.
Helmarshausen hat immer unter der großen „Konkurrenz“ gelitten. Dreißig Kilometer Weser abwärts stand die berühmte Reichsabtei Corvey, zwanzig Kilometer Weser aufwärts das bekannte Benediktinerkloster Bursfelde. Bischof Meinwerk von Paderborn hätte Helmarshausen am liebsten aus dem Interessengebiet des Kölner, Mainzer und Paderborner Sprengels nach Warburg verlegt. Eine nächtliche Vision hielt ihn davon ab. Abt Tiethmar beschloss, das Kloster auf eigene, unabhängige Füße zu stellen. Die große Zeit der Reliquienübertragungen war eigentlich vorbei. So kamen zum Beispiel bereits 836 aus dem heutigen Frankreich die Gebeine des hl. Liborius nach Paderborn, die des hl. Vitus nach Corvey, die des hl. Patroklus nach Soest. Die hl. Pusinna wurde fortan in Herford, der hl. Landolinus in Boke bei Lippstadt verehrt. Der Besitz von Reliquien verwies auf die Größe und den Reichtum der jeweiligen Ortskirche, und so waren viele Pfarreien bestrebt, durch die Verehrung von Heiligen Wallfahrer und Beter anzulocken, die nicht nur das Devotionaliengeschäft belebten, sondern auch die übrige wirtschaftliche Kaufkraft beflügelten.
Gegen die Vorbehalte seines Konvents setzte Abt Thietmar I. im Jahre 1107 seine Pläne durch mit der Folge, dass die später einsetzende Verehrung des Heiligen sein Kloster so berühmt machte, dass bedeutende Künstler in den Konvent eintraten. Der berühmte Roger von Helmarshausen – er kam aus St. Pantaleon in Köln – schuf einzigartige Kunstwerke wie Tragaltäre und Reliquienkästchen, die noch heute im Paderborner Diözesanmuseum zu bewundern sind, und der Mönch Heriman und seine Schreibschule vollbrachten wahre Wunder in der Schreibkunst, wovon das Evangeliar Heinrichs des Löwen und andere Werke Zeugnis geben. Die Strecke der gesamten Translatio führte von Trier durch die Eifel über Köln durchs Bergische Land auf Soest zu, von dort nach Paderborn und weiter nach Helmarshausen. Abt Thietmar I. und seine Mönche bewältigten die Route in zwölf Tagen. Ihre kostbarste Fracht waren die Reliquien des hl. Modoald, des 25. Bischofs von Trier, der seine neue Heimat in der alten Reichsabtei St. Maria und Petrus unweit der heutigen Landesgrenze Hessen/NRW, finden sollte. Die „Translatio Sancti Modoaldi“ ist vor wenigen Jahren erstmals aus dem Lateinischen ins Deutsche übertragen und als Band 9 in den Beiträgen zur Geschichte der Stadt Karlshafen und des Weser-Diemel-Gebiets veröffentlicht worden.
„Freue dich, oh Diözese Paderborn, du edle Jungfrau, Braut Christi und fruchtbare Mutter, da die Heiligenreliquien dich und deine zahlreichen Söhne selig machen“, frohlockt der Translatio-Bericht. Die Abtei Helmarshausen gehörte im 12. Jahrhundert zum Bistum Paderborn.
Die Trierer waren vom Ansinnen des Abtes aus dem Diemelkloster zunächst nicht begeistert. Trotz getroffener Absprachen brachte Bischof Bruno manche Entschuldigung vor: Schließlich sei Heriman, der erste Bischof von Metz, drei Tage, nachdem er den hl. Clemens aus seinem Grab genommen und an einen anderen Ort überführt hatte, gestorben. Und auch bei der geplanten Translatio des hl. Legontius, den man als Schutzheiligen expedieren wollte, sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. Die Grabstelle, von der man den Rasen entfernt hatte, sei am nächsten Tag unversehrt und ohne Spur eines Eingriffs angetroffen worden – ein Zeichen des Himmels, dass der Heilige in Trier bleiben wolle.
Der Beharrlichkeit des Abtes Thietmar ist es schließlich zu verdanken, dass die Einwände der Trierer Bistumsleitung zerstreut wurden. Es war ein feierlicher Akt, als der Leichnam des heiligen Modoald aus der Gruft von St. Paulinus gehoben und in einen mit Leinentüchern ausgeschlagenen Schrein gelegt wurde. Bei diesen Gebeinen blieb es nicht: Abt Thietmar scheint geradezu besessen gewesen zu sein, sein Kloster und andere benediktinische Niederlassungen in Sachsen mit Reliquien auszustatten, denn noch im Jahre 1107 schenkte er Abt Gumbert vom Kloster Abdinghof in Paderborn: einen vollständig erhaltenen Körper einer der Heiligen Jungfrauen, Gebein des hl. Bischofs und Märtyrers Probus, Gebein des hl. Modoald, Gebein des hl. Erzbischofs Auctor, Gebein der Erzbischöfe Bonosus und Abrunculus, Stücke von der Stola und dem Mantel des hl. Erzbischofs Maximin, Schulterblatt, Kopf und Rippen eines der heiligen Thebäer, Gebeine des hl. Bischofs und Märtyrers Pamphilus, Rippen eines heiligen Mauren sowie des hl. Märtyrers Kilian.
Die letzte Station vor der Ankunft in Helmarshausen war der Ort Deisel, wohin der gesamte Konvent des Klosters St. Maria und Petrus mit Gästen wie dem Propst von Corvey gezogen war, um den hl. Modoald in einem von Wundern begleiteten Triumphzug in seine neue Heimat zu geleiten. Voran gingen die Armen und Bedürftigen, die Geld, Speise und Trank von der Gemeinde erhalten hatten und die „laut, aber schrecklich falsch“ Dankeslieder anstimmten.
Dies geschah im Jahre 1107.