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Goethe mal eher privat.
Hermann Multhaupt erzählt, wie der Dichterfürst mit seinem Sohn August nach Pyrmont reist, wo er sich von einer schlimmen Krankheit zu erholen sucht.

Goethe in Westfalen

Goethe in Westfalen

Hermann Multhaupt

Als Goethe seinen Brotherrn und Freund Herzog Carl August von Weimar als Kriegsberichterstatter im Feldzuge gegen Frankreich begleitete, betrat er mit seinem Diener Paul Götze am 6. Dezember 1792 bei Dorsten erstmals westfälischen Boden.

Hermann Multhaupt hat in seinem Roman über Annette von Droste-Hülshoff („Meine Lieder werden leben“)  dem Aufenthalt Goethes in Westfalen ein literarisches Denkmal gesetzt. Dort lässt er Annette in den Annalen amüsiert lesen,

 

»… dass er im Gasthaus „Wildemann“ am Marktplatz für 88 Groschen zwei oder drei Schoppen Wein genehmigt sowie nach der Fahrt über Haltern am See mit Götze in Dülmen bei der Posthalterin Berning übernachtet und den westfälischen Schinken verkostet hatte.

Was der Dichterfürst in Westfalen erlebt hatte, ließ ihn dreißig Jahre später noch nicht ruhen. In seiner Prosaschrift „Campagne in Frankreich“ vermerkte er, dass stürmisches und regnerisches Wetter die Weiterfahrt nach Münster zur Fürstin Gallitzin stark behindert habe, sodass er erst spät die Stadt erreichte. Nun war er Kavalier genug, um nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern zog eine Übernachtung im renommierten Gasthof „Zur Stadt London“ auf der Rothenburg 2 vor. Pech nur, dass alle Zimmer und Betten mit französischen Emigranten belegt waren und man ihm einen Stuhl in der Wirtsstube anbot, für den er noch drei Reichstaler berappen musste. Goethe verlor später über Münster nicht allzu viele Worte. Nicht einmal den Prinzipalmarkt erwähnte er. Dafür unternahm er mit dem Freiherrn von Fürstenberg eine Kutschfahrt über die Promenade zum fürstbischöflichen Residenzschloss und zum Schlossgarten und stellte fest, dass dieser Mann, der doch fast Fürstbischof geworden wäre, recht bescheiden lebte. Danach also war es an der Zeit, seine neue Gastgeberin, die Fürstin von Gallitzin, in ihrem Haus in der Grünen Gasse und den „Kreis von Münster“ aufzusuchen, der sich mit literarischen, philosophischen und religiösen Fragen beschäftigte; Goethe fühlte sich wohl.

„Die Fürstin ging mir entgegen, ich fand in ihrem Hause zu meiner Aufnahme alles vorbereitet“, entsann er sich. „Das Verhältnis von meiner Seite war rein, ich kannte die Glieder des Zirkels früher genugsam, ich wusste, dass ich in einen frommen, sittlichen Kreis hereintrat, und betrug mich danach. Von jener Seite benahm man sich gesellig, klug und nicht beschränkend.“

[...]

Goethe entzückte die Gemmensammlung, die die Fürstin von Hemsterhuis geschenkt bekommen hatte. Die „Blüte des Heidentums“ in einem katholischen Hause vorzufinden, beruhigte ihn ungemein, und erst recht begeistert war er, als ihm Amalie die siebzig Gemmen und Kameen als Leihgabe mitgab, von denen er Abgüsse machen ließ und nach vier Jahren zurücksandte. Drei Tage blieb der Dichterfürst in Münster, dann zog es ihn heim, weil er seiner Frau Christiane seine Ankunft bereits mitgeteilt hatte. Doch in einem Brief an seinen Freund Friedrich Heinrich Jakobi gestand er, dass er gern etwas länger geblieben wäre, weil ihm die behagliche Atmosphäre im Haus auf der grünen Gasse gefiel.

Die Fürstin verabschiedete ihren hohen Gast an der nächsten Poststation in Telgte. Die folgende Nacht verbrachten Goethe und sein Diener am 9. Dezember in einem Gasthof, der der Posthalterei an der Oststraße 12 angeschlossen war. Die Reise durch die Herrschaft Bentheim-Rheda führte durch Ackerland, Weiden und Wälder, deren Ränder wie belebte Punkte kleine Kötterhäuser markierten. Die Prämonstratenserklöster Clarholz und Herzebrock mögen Goethes Neugier beflügelt haben. Hier ließ er vom Posthalter Ottopohl nur die Pferde wechseln, und ohne Stärkung ging es weiter bis Neuenkirchen, wo Herr und Diener die Nacht beim Postmeister Franz Arnold Rose verbrachten. Götze notierte präzise, wo was und wie viel zu zahlen war; „Schreib er nur auf, was er meint.“ Die Preise waren wie der Komfort recht unterschiedlich.

In Paderborn, der Hauptstadt des gleichnamigen Fürstbistums, regnete es. Goethe verzichtete an diesem 12. Dezember 1792 darauf, sie näher in Augenschein zu nehmen. Er speiste im „Römischen Hof‘, der zur Posthalterei des Postmeisters Daltrup gehörte, und dann nahm der Reisewagen Fahrt auf bis Lichtenau. Hier wurden die Pferde getauscht und weiter ging es auf schlecht gebauten Wegen, durch Heidegebüsch, Sträuchern, Sand und Binsen, bis der Postillion erklärte, an eine Weiterfahrt sei nicht zu denken. Vor ihnen stand eine einsame Waldwohnung, „deren Lage, Bauart und Bewohner schon beim hellsten Sonnenschein hätten Schauder erregen können“, wie der Dichter im Nachhinein notierte. Hier erlebten Goethe und Götze eine „schaurige Nacht“ in ständiger Sorge, der überschwere Wagen könne ausgeraubt werden, weil die Kutscher Geld und Wertsachen als Gepäck vermuteten. Noch einmal mussten die Weimarer auf westfälischem Boden übernachten, nämlich beim Posthalter Johannes Menne in Ossendorf, bis sie endlich das hell erleuchtete Kassel vor sich sahen ...

Goethes Werke brauchten einen kräftigen Anlauf, um in Westfalen Fuß fassen zu können. Die gebildeten Volksschichten, zu denen vornehmlich der Adel gehörte, blieben lange auf Distanz. Minister Fürstenberg, der eine Zensurregelung für Leihbibliotheken im Fürstbistum Münster herausgab, bekundete Goethes Werk gegenüber moralische und politische Vorbehalte, die später als zu streng zurückgenommen wurden. In der Hülshoffschen Bibliothek befanden sich um 1800 das Schauspiel „Götz von Berlichingen und ein Band Gedichte. Der münstersche Verleger Philipp Heinrich Perrenon erkannte die literarische Bedeutung des Dichters und setzte sich für Goethes Werke ein. Ebenso tat es Annette von Droste- Hülshoff, auch wenn die Mutter dieses Engagement missbilligte.

Und noch einen begeisterten Anhänger fand Goethe in Münster: Pfarrer Hermann Kappen ließ den im Mittelalter errichteten und nun einsturzgefährdeten Turm der Lambertikirche im Stil der Hochgotik und nach dem Vorbild des Freiburger Münsters neu bauen. Das im Turm eingelassene Doppelportal aus der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts zeigt neben anderen Personen den Evangelisten Lukas mit Goethes Gesichtszügen in nachdenklicher Haltung.«

 

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Aus: Hermann Multhaupts Roman „Meine Lieder werden leben“ ist bisher noch unveröffentlicht.

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